tanzkunst

Von der Bühne ins Rechenzentrum: Tanzkunst und künstliche Intelligenz

Chancen, Experimente und kritische Fragen einer ungewöhnlichen Allianz:

Künstliche Intelligenz (KI) verändert zunehmend die Spielräume der Tanzkunst – sie liefert Inspiration und technische Mittel zur Analyse sowie interaktive Partner in Live-Performances. Doch wie genau sieht dieser Wandel aus, was funktioniert gut, was wirft Fragen auf? Im Folgenden beleuchte ich exemplarisch deutsche Projekte, bringe Stimmen aus der Praxis und reflektiere kritische Aspekte.

Beispiele aus Deutschland mit Stimmen der Beteiligten

Deep.Dance (Hamburg)

Das Stück Deep.Dance, entwickelt von Jascha Viehstädt mit einem internationalen Team, nutzt ein künstliches neuronales Netz, das eine Choreographie vollständig erzeugt. Drei Tänzer*innen führen anschließend die von der KI berechnete Choreographie bis ins Detail aus.

Ein Pressestatement beschreibt Deep.Dance so:

„In Deep.Dance ersetzt ein Team aus internationalen Künstlerinnen sich selbst durch eine künstliche Intelligenz. Eine vollständige Choreographie, kreiert durch ein von ihnen programmiertes, künstlich-neuronales Netz, wird bis ins Detail von drei Tänzerinnen ausgeführt.“ Deep.Dance

Aus der Kritik heißt es über Deep.Dance:

„… threateningly successful interplay of artificial conceptual and human-bodily-motor intelligence“ jaschaviehstaedt.com

Diese Formulierungen zeigen, wie das Projekt nicht nur als technische Spielerei betrachtet wird, sondern als ästhetische Erfahrung, die Fragen aufwirft, wie weit menschliche Bewegung durch algorithmische Strukturen geprägt werden kann.

Weitere Projekte und Initiativen

Während Deep.Dance eines der bekannteren Beispiele ist, gibt es auch Projekte, die KI-Elemente in Tanzlehre und Forschung einsetzen. Ein bereits beschriebener Ansatz ist Vortanz an der Deutschen Sporthochschule Köln, wo Pose-Estimation etc. zur Reflexion und Verbesserung der Tanztechnik genutzt werden.

Das österreichisch-deutsche DANCR-Projekt verbindet Tanz und Robotik sowie maschinelles Lernen, um Werkzeuge zu entwickeln, die Choreografien analysieren und neue Formen der Interaktion ermöglichen.

Stimmen und Reflexion aus der Praxis

Die Zitate von Deep.Dance (siehe oben) zeigen, dass Künstlerinnen bewusst KI als Mitgestalterin behandeln: Die KI erzeugt Bewegungssequenzen, die menschliche Ausführung verlangt und formt. Die Beschreibung „threateningly successful interplay …“ spricht von einer Spannung: Die KI arbeitet nicht einfach unterstützend, sondern sie fordert heraus, lässt hinterfragen, was menschlich ist und was Maschine.

Ein weiteres relevantes Element: Deep.Dance spricht davon, dass die Bewegungen „statistisch vorbestimmt“ seien, aber dann durch Menschen ausgeführt werden, also eine doppelte Vermittlung zwischen Maschinellem und Körperlichem.

Kritische Aspekte

  1. Autorschaft und Urheberrecht
    Wem gehört das Werk, wenn eine KI Bewegungsfolgen generiert? Wenn KI-Modelle auf existierende Choreografien trainiert werden, wie transparent sind die Quellen? Wer profitiert?
  2. Körperlichkeit und Ausdruck
    KI kann Bewegungsdaten erzeugen und Visualisierungen unterstützen, aber Ausdruck, Nuancen, Intuition, Präsenz – all das hängt sehr stark vom menschlichen Körper, von Erfahrung und Empfindung ab. Es besteht die Gefahr, dass Tanz zu reiner Form oder reinem Muster reduziert wird.
  3. Kulturelle Verzerrungen (Bias)
    Trainingsdaten spiegeln oft westliche, akademisch dominierte Tanztraditionen wider. Weniger verbreitete Stilrichtungen, lokale Ausdrucksformen und non-westliche Bewegungsweisen werden möglicherweise ignoriert oder stereotypisiert.
  4. Ästhetische Limitierungen
    Manche KI-Bewegungen wirken sehr „geordnet“, vorhersehbar oder „glatt“. Unvorhersehbarkeit und Imperfektion sind aber oft Elemente, die Tanz lebendig machen. KI-Outputs können beeindruckend sein, aber auch emotional distanziert.
  5. Zugang & Ressourcen
    Projekte wie Deep.Dance haben relativ gute Fördermittel und technische Ausstattung. Freie Compagnien, Studierende oder Tanzschaffende ohne solche Mittel stehen vor Barrieren: Kosten für Hardware, Entwicklung und technische Expertise.
  6. Ethik & Publikumserwartungen
    Wie offen sollte sein, was KI gemacht hat? Wird Publikum genügend informiert? Könnte eine KI-Choreographie als weniger „authentisch“ wahrgenommen werden – und wenn ja, wie damit umgehen?

Fazit

KI hat im Feld Tanzkunst bereits überzeugt als Inspirationsquelle, Werkzeug und als Mittel, Bewegung neu zu formen. Projekte wie Deep.Dance in Deutschland zeigen, wie ästhetisches Potenzial und kritische Reflexion zusammengehen können. Dabei ist entscheidend, dass Tanzschaffende nicht nur Technik nutzen, sondern Verantwortung übernehmen: gegenüber Körperlichkeit, kultureller Vielfalt, sozialer Gerechtigkeit und künstlerischer Integrität.


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