Chancen, Grenzen und pädagogische Implikationen:
Der KI-gestützte Chatbot telli wurde eigens für den Einsatz in deutschen Schulen entwickelt. Ziel ist es, Lehrkräfte bei der Unterrichts- und Materialvorbereitung zu unterstützen und Schülerinnen und Schülern eine geschützte Umgebung zur Auseinandersetzung mit Künstlicher Intelligenz (KI) zu bieten.
Der Beitrag erläutert, wie telli funktioniert, welche Chancen sich für den Bildungsbereich ergeben und welche Herausforderungen insbesondere im Umgang mit Kindern und Jugendlichen zu beachten sind.
Funktionsweise und Konzept von telli
telli ist ein schulischer KI-Chatbot, entwickelt vom FWU – Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht gGmbH, dem Medieninstitut der Länder. Das Projekt entsteht in Kooperation mit den Kultusministerien verschiedener Bundesländer und ist Teil des Vorhabens AIS (Adaptives Intelligentes System), das KI-gestützte Lernumgebungen für Schulen schaffen soll.
Lehrkräfte können mit telli:
- eigene Unterrichtsmaterialien hochladen, damit die KI auf einer konkreten Wissensbasis arbeitet,
- fiktive Gesprächspartner definieren, etwa historische Persönlichkeiten oder fachspezifische Rollen,
- Prompts (Anweisungen) formulieren, die beschreiben, in welcher Rolle oder Haltung die KI reagieren soll.
„Ich kann da eigene fiktive Gesprächspartner anlegen“, erklärt Evelyn Glose, Projektleiterin für telli beim FWU. „Die Lehrer können Anweisungen an die KI anlegen, die die Person beschreiben, deren Rolle der Chatbot spielen soll.“ So kann etwa eine Geschichtslehrerin den Chatbot als „Seneca“ auftreten lassen, um ethische Fragen der Antike mit der Klasse zu diskutieren – oder eine Sprachlehrkraft lässt ihn als „Zeitzeugin der Industrialisierung“ antworten.
Der Dienst wird datenschutzkonform innerhalb der EU betrieben. Die Nutzung ist für öffentliche Schulen kostenlos. Nach Pilotphasen in Bremen und Brandenburg wurde telli inzwischen auch in Hessen und Baden-Württemberg flächendeckend eingeführt. Weitere Länder, darunter Hamburg und Schleswig-Holstein, planen derzeit die Implementierung.
Potenziale für den Unterricht
Förderung von Medien- und KI-Kompetenz
Mit telli können Schülerinnen und Schüler lernen, wie Sprachmodelle funktionieren, welche Chancen und Grenzen sie haben und wie man Informationen kritisch überprüft. Der Einsatz unterstützt zentrale Bildungsziele wie Medien-, Informations- und Urteilskompetenz.
Entlastung und Individualisierung für Lehrkräfte
Der Chatbot kann Arbeitsprozesse beschleunigen – etwa beim Erstellen von Arbeitsblättern, Quizfragen oder Texten in verschiedenen Schwierigkeitsstufen. Durch den Upload eigener Materialien lässt sich der Unterricht gezielt an Lernniveaus und Fachthemen anpassen.
Neue Formen des Lernens im Dialog
Dank frei definierbarer Rollen lässt sich Unterricht interaktiver gestalten. Statt passiv Texte zu lesen, führen Lernende Gespräche mit fiktiven Figuren oder historischen Persönlichkeiten – ein Ansatz, der besonders in Geschichte, Ethik, Sprachen und Sozialkunde motivierende Lernformen eröffnet.
Datenschutz und schulischer Rahmen
Im Gegensatz zu frei zugänglichen KI-Plattformen ist telli auf schulische Bedürfnisse zugeschnitten und erfüllt die Datenschutzvorgaben der Länder. Das reduziert rechtliche Unsicherheiten und schafft eine vertrauenswürdige Umgebung für Lehrkräfte und Schüler:innen.
Kritische Aspekte und Herausforderungen
Halluzinationen und Scheingenauigkeit
Wie alle Sprachmodelle kann auch telli falsche oder erfundene Informationen produzieren – so genannte „Halluzinationen“. Diese wirken oft glaubwürdig – besonders für Kinder problematisch, die sie leicht als Fakten übernehmen. Lehrkräfte müssen daher gezielt üben lassen, Aussagen zu prüfen und zu hinterfragen.
Autoritätsglaube und mangelnde Quellenkritik
Da KI-Antworten sprachlich sicher und strukturiert erscheinen, nehmen Lernende sie häufig als objektiv wahr. Pädagogisch wichtig ist es, zu vermitteln: telli rechnet – es weiß nichts. Lehrkräfte sollten deutlich machen, dass KI kein Wissenswesen, sondern ein sprachbasiertes Vorhersagesystem ist.
Verzerrungen (Bias)
Auch ein schulischer Chatbot kann gesellschaftliche Stereotype wiedergeben, da Trainingsdaten Vorurteile enthalten können. Lehrkräfte sollten diese Verzerrungen aktiv thematisieren, etwa mit Fragen wie: Welche Perspektiven fehlen? Wessen Sichtweise wird betont?
Datenschutz und kindgerechte Nutzung
Obwohl telli datenschutzkonform betrieben wird, ist Vorsicht geboten: Lernende könnten unbeabsichtigt persönliche Informationen eingeben. Es braucht klare Unterrichtsregeln, welche Inhalte in Chats erlaubt sind – etwa keine Namen, privaten Themen oder sensiblen Angaben.
Übernutzung und Verlust eigener Denkprozesse
Wenn KI zu häufig eingesetzt wird, besteht das Risiko, dass Lernende sich auf vorgegebene Antworten verlassen und weniger selbständig denken, recherchieren oder schreiben. telli sollte daher gezielt, zeitlich begrenzt und immer mit Reflexionsphasen eingesetzt werden.
Allgemeine ökologische und soziale Kritikpunkte an KI
Auch wenn telli auf einer kleineren, energieeffizienteren Variante großer Sprachmodelle basiert, bleiben die systemischen Kritikpunkte relevant:
- Hoher Strom- und Wasserverbrauch in Rechenzentren, insbesondere beim Training großer Modelle,
- CO₂-Emissionen und Umweltbelastungen durch Hardwareproduktion,
- unsichtbare „Datenarbeit“, also schlecht bezahlte menschliche Arbeitskräfte, die Trainingsdaten klassifizieren und Inhalte moderieren – oft unter prekären Bedingungen.
Diese Aspekte gelten auch für schulische KI-Anwendungen und sollten im Unterricht thematisiert werden, z. B. im Rahmen von Projekten zu digitaler Nachhaltigkeit oder globaler Gerechtigkeit.
Leitgedanken für Lehrkräfte
- KI erklären: telli ist ein Sprachmodell, kein denkendes Wesen.
- Quellen prüfen: Jede Antwort braucht Verifikation oder Vergleich mit seriösen Quellen.
- Bias thematisieren: Fragen nach Fairness, Perspektive und Vielfalt stellen.
- Datenschutz beachten: Keine persönlichen Daten oder sensiblen Informationen eingeben.
- Reflexion fördern: KI-Ergebnisse als Ausgangspunkt für Diskussion, nicht als Endpunkt nutzen.
- Einsatz begrenzen: KI gezielt in Projekten oder Lernphasen einsetzen, nicht als Dauerbegleiter.
- Lehrkräfte qualifizieren: Fortbildungen zur KI-Didaktik und Medienethik sind zentral.
Fazit
Der KI-Chatbot telli eröffnet neue Möglichkeiten für Unterricht und Medienbildung in Deutschland. Lehrkräfte können ihn nutzen, um Lernprozesse zu individualisieren und kritisches Denken über KI zu fördern. Gleichzeitig bleibt die pädagogische Verantwortung groß: KI darf nicht als Wissensquelle oder Ersatz für Urteilsbildung verstanden werden, sondern als Werkzeug, das Denken und Quellenkritik anregt. So kann telli – richtig eingesetzt – zu einem Baustein reflektierter digitaler Bildung werden. Voraussetzung ist, dass Lehrkräfte Chancen und Grenzen gleichermaßen vermitteln und Kinder befähigen, sich kritisch, kreativ und sicher in einer KI-geprägten Welt zu bewegen.
Quellen
- FWU Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht: „KI-Chatbot telli: Neue Funktionen für Lehrkräfte“, 11. Juni 2025. fwu.de
- FWU Pressemitteilung: „Schulen in Hessen und Baden-Württemberg setzen ab sofort KI-Chatbot telli ein“, 13. Oktober 2025. fwu.de
- Hessenschau: „Hessens Lehrer können Chatbot telli im Unterricht nutzen“, 17. Oktober 2025, Zitat von Evelyn Glose. hessenschau.de
- Kultusministerium Baden-Württemberg: „KI-Chatbot für Schulen geht an den Start“, Pressemitteilung vom 13. Oktober 2025. km.baden-wuerttemberg.de
- Heise online: „Chatbot für Schulen: Bremen macht den Anfang“, 26. Juni 2025. heise.de
- Deutsches Schulportal: „Fobizz, SchulKI und Co.: Welche KI-Tools können Schulen nutzen?“ deutsches-schulportal.de



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