Ein privates Start-up will die Sonne dimmen – mit KI-gesteuertem Klimamanagement, minimaler öffentlicher Kontrolle und maximalem Risiko:
Stardust Solutions verfolgt ein Projekt, das den technischen Eingriff ins Erdsystem zum Geschäftsmodell macht: Stratospheric Aerosol Injection (SAI) – das Ausbringen reflektierender Partikel in 15 bis 25 Kilometern Höhe, um einen Teil des Sonnenlichts zurück ins All zu lenken und die Erde kurzfristig abzukühlen.
Neu ist weniger die Idee als ihre Kommerzialisierung: patentierte Partikel, skalierbare Dienste, private Finanzierungsrunden.
Seit Oktober 2025 flossen 60 Millionen US-Dollar an Wachstumskapital – Rekordniveau in einem Feld, das bisher eher von Forschung als von Risikokapital geprägt war.
Was Stardust vorhat – und warum das relevant ist
Das Unternehmen präsentiert sich als eine Art „Klimaversicherung“: Wenn Emissionsminderungen nicht schnell genug greifen, soll SAI die Risiken vorübergehend mindern.
Laut Recherchen sind Stratosphärentests ab 2026 geplant. Investoren reichen von Lowercarbon Capital bis Exor.
Die öffentliche Kommunikation verspricht chemisch stabile, ungiftige Materialien und eine „sichere“ Technologie.
Doch unabhängige, begutachtete Daten zur tatsächlichen Wirkung, Verteilung und Nebenwirkung dieser Partikel fehlen.
Das Magazin Wired bezeichnet Stardust als „rätselhaftes Start-up mit großen Ambitionen“, während die Umweltorganisation CIEL von einem „waghalsigen Experiment“ spricht.
Politisch heikel ist die Regierungslücke: Es existiert kein internationales Regelwerk, das solche Eingriffe kontrolliert.
Der frühere UN-Klimadiplomat Janos Pasztor, der Stardust unabhängig berät, warnt seit Jahren:
„Die Menschheit ist nicht bereit, das Klima zu steuern.“
Der Klimaforscher Kevin Anderson ergänzt:
„Die Vorstellung, wir könnten das Thermostat der Erde feinjustieren, ist eine Illusion von Kontrolle.“
(BBC, 2024)
Der Faktor Künstliche Intelligenz
Die zweite Verschiebung betrifft die Rolle der Künstlichen Intelligenz.
KI ist längst nicht nur ein Werkzeug, sondern der operative Kern künftiger Geoengineering-Systeme.
- Vorhersage und Steuerung:
In der Wettervorhersage hat KI enorme Fortschritte erzielt. Das System GraphCast von Google DeepMind erstellt Prognosen, die schneller und oft präziser sind als klassische Modelle.
Solche Systeme könnten SAI-Akteuren helfen, Partikelverteilungen in Echtzeit zu planen oder anzupassen.
Doch selbst die Entwickler räumen ein: Bei Extremereignissen und in der Stratosphäre stoßen auch diese Modelle an Grenzen – genau dort, wo Stardust aktiv werden will. - Materialdesign:
KI-gestützte Programme analysieren mögliche Partikelmaterialien – etwa Karbonate, Silikate oder Titandioxid – nach Reflexionsgrad, chemischer Stabilität und Lebensdauer.
Der Übergang von der Simulation zum Feldversuch bleibt jedoch eine Black Box: Ohne offene Daten ist unabhängige Prüfung kaum möglich. - Autonome Ausbringung:
Vorgeschlagen werden Drohnen- oder Ballonflotten, deren Routen und Mengen algorithmisch gesteuert werden.
Damit entstünde ein global wirkendes technisches Regelsystem – entwickelt, betrieben und ausgewertet durch private Akteure.
Die entscheidende Frage lautet: Wer überprüft den Code, wer darf eingreifen – und wer trägt die Verantwortung, wenn etwas schiefläuft?
Die Forscherin Kate Crawford bringt es auf den Punkt:
„Künstliche Intelligenz trifft keine moralischen Entscheidungen – aber sie bestimmt zunehmend deren Folgen.“
(Atlas of AI, 2021)
Die sechs zentralen Problemfelder
Entscheidungen im Verborgenen
Wenn Algorithmen darüber bestimmen, wie viel Sonnenlicht die Erde erreicht, geraten demokratische Prinzipien an ihre Grenzen.
Die Nationalen Akademien der Wissenschaften warnen:
„Solartechnische Eingriffe könnten die Temperaturen senken, aber ebenso unbekannte oder schädliche Folgen nach sich ziehen.“
Fehlende internationale Kontrolle
Es gibt keine verbindlichen Regeln für Zugang, Überwachung oder Haftung.
Das bedeutet: globale Wirkung – ohne globale Zustimmung.
Verzerrte Daten und ungleiche Folgen
KI-Systeme basieren auf unvollständigen Datensätzen. Regionen mit schwacher Datenerfassung – meist im globalen Süden – tragen das größte Risiko von Fehlsteuerungen.
Dauerhafte Abhängigkeit
Wird die Technik einmal eingesetzt, kann sie nicht einfach gestoppt werden.
Der Klimaforscher Alan Robock warnt:
„Wenn man mit Geoengineering beginnt, kann man womöglich nie wieder aufhören.“
(Nature Geoscience, 2016)
Ablenkung vom Wesentlichen
Je mehr Kapital in solche Projekte fließt, desto schwächer wird der politische Druck, Emissionen tatsächlich zu senken.
Die vermeintliche „Rettung“ könnte so zum Alibi für Untätigkeit werden.
Macht durch Implementierung
Wer die Technologie, den Code und die Infrastruktur kontrolliert, kontrolliert auch das Klima – und damit ein globales öffentliches Gut.
Die Frage nach technischer Machbarkeit wird so zur Frage nach politischer Legitimation.
Der Governance-Forscher Frank Biermann formuliert es so:
„Geoengineering gibt uns die Macht, das Klima zu verändern – aber nicht die Weisheit, mit den Folgen umzugehen.“
(Global Governance Journal, 2023)
Politische Lage: Zwischen Forschung und Versuchung
Einige Staaten – darunter auch die Schweiz – fordern die Vereinten Nationen auf, Chancen und Risiken solcher Technologien systematisch zu untersuchen.
Das Ziel: internationale Leitplanken gegen unkoordinierte Alleingänge.
Doch mit jeder neuen Studie wächst auch die Gefahr der Normalisierung.
Medien wie Axios sprechen bereits von einem „Stimmungswandel“ – was einst als Science-Fiction galt, rückt plötzlich in die politische Mitte.
Die US-Akademien mahnen dagegen:
„Kein Einsatz ohne Transparenz, öffentliche Debatte und Rechenschaftspflicht.“
Was bleibt – und was nötig wäre
- Kein automatisiertes Klima.
SAI und KI bilden eine doppelte Unsicherheit. Solange keine internationalen Kontrollmechanismen existieren, darf es keine privat gesteuerten Feldversuche geben. - Emissionsminderung zuerst.
Jede Forschung zu solaren Eingriffen gehört in öffentliche, offene Programme – mit transparenter Datenlage und klaren Ausstiegskriterien. - Rechte der Betroffenen sichern.
Regionen, die am stärksten betroffen sind, müssen Mitspracherechte erhalten. Ohne sie wird die Stratosphäre zur Versuchsanlage für wenige.
„Die Menschheit ist nicht bereit, das Klima zu steuern.“ — Janos Pasztor
„Wenn man mit Geoengineering beginnt, kann man womöglich nie wieder aufhören.“ — Alan Robock
„Künstliche Intelligenz trifft keine moralischen Entscheidungen – aber sie bestimmt zunehmend deren Folgen.“ — Kate Crawford
„Geoengineering gibt uns die Macht, das Klima zu verändern – aber nicht die Weisheit, mit den Folgen umzugehen.“ — Frank Biermann
Diese Stimmen beschreiben das Spannungsfeld: technischer Fortschritt, politische Ohnmacht, moralische Verantwortung.
Gerade deshalb gehört ein Projekt wie Stardust unter öffentliche Aufsicht – nicht in die Black Box eines Start-ups.
Quellen und Literatur (Auswahl)
- Politico (24.10.2025): „Global cooling startup raises $60 M to test sun-reflecting technology“
- Wired (22.03.2025): „A Mysterious Startup Is Developing a New Form of Solar Geoengineering“
- CIEL (12.02.2025): „US-Israeli Start-Up Unveils Reckless Geoengineering Gamble“
- Axios (03.05.2024): „Veteran climate diplomat to advise geoengineering startup“
- National Academies of Sciences (2021): „Reflecting Sunlight: Recommendations for Solar Geoengineering Research and Research Governance“
- DeepMind / Science (2023): „GraphCast: Machine learning for weather forecasting“
- The Guardian (22.02.2024): „Switzerland calls on UN to explore solar geoengineering“
- Alan Robock (2016): „The climate effects of geoengineering termination“, Nature Geoscience
- Frank Biermann (2023): „Earth System Governance and the Geoengineering Challenge“, Global Governance Journal
- Kate Crawford (2021): Atlas of AI, Yale University Press



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